
Futuristen wie der US-amerikanische Computerwissenschaftler und Trans- bzw. Posthumanist Ray Kurzweil glauben daran, einst menschliches Bewusstsein auf digitale Speicher hochladen zu können, um auf diese Weise unsterblich zu werden. Dass KI schon jetzt mehr kann, als nur Stimmen Verstorbener wiederzuerwecken, wurde eindrücklich durch die letzte, 2023 veröffentlichte Beatles-Single »Now and Then« demonstriert. Dank KI konnte der Song mehr als 50 Jahre nach Trennung der »Fab Four« abgemischt werden, den John Lennon Ende der 1970er Jahre als Demo auf einer Musikkassette festhielt. Schlagzeuger Ringo Starr sagte: »Noch dichter an das Gefühl, ihn wieder bei uns im Raum zu haben, werden wir niemals kommen. Allein deshalb war das wahnsinnig emotional für uns alle. Es war wirklich so, als ob John wieder bei uns wäre – das war echt verrückt.«
Mithilfe von KI lässt BBC Maestro Agatha Christie als Schreiblehrerin wieder auferstehen
Die abonnementbasierte, britische E-Learning-Plattform BBC Maestro hat einen Schreibkurs vorgestellt, der mithilfe modernster KI-Technologie die Schriftstellerin Agatha Christie (1890-1976) wieder auferstehen lässt (siehe Trailer). Damit wird es der weltweit meistverkauften Romanautorin ermöglicht (die verkaufte Weltauflage ihrer Bücher soll über zwei Milliarden Exemplare betragen), Jahrzehnte nach ihrem Tod ihre Schreibgeheimnisse preiszugeben. Das zweijährige Projekt, an dem fast hundert Fachleute beteiligt waren, kombinierte menschliche Expertise mit KI-Innovation, um die Autorin digital wieder auferstehen zu lassen. Die Schauspielerin Vivien Keene, die nach einem 18-monatigen Casting mit 150 Vorsprechen ausgewählt wurde, liefert die physische Darstellung, während KI-Technologie ihr Aussehen und ihre Stimme zu einem beinah lebensgetreuen Ebenbild der Schriftstellerin veränderte.
Was das Projekt auszeichnet, ist die akribische Beachtung ethischer Aspekte und der Authentizität. Der Kurs wurde in enger Zusammenarbeit mit Christies Familie erstellt und basiert ausschließlich auf Christies eigenen Aufnahmen und Schriften. Ein Team führender Experten und Christie-Gelehrter hat ihre Manuskripte, Briefe und Interviews sorgfältig analysiert, um ihre Ansichten zum Handwerk des Schreibens zu extrahieren.
Weit davon entfernt, Arbeitsplätze zu vernichten, zeigt diese KI-Anwendung, wie neue Technologien Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen können: Hundert Personen arbeiteten an dem Projekt und erweiterten das typische Produktionsteam von BBC Maestro um Spezialisten für historische Kostüme, Haar- und Make-up-Design, Experten für visuelle Effekte, die Christies Aussehen nachbildeten, und Tontechniker, die Keenes Stimme in Agatha Christies Stimme verwandelten. Diese kollaborative Mischung aus menschlicher Kunstfertigkeit und technologischer Innovation weist in eine Zukunft, in der KI kreative Arbeit verstärkt, anstatt sie zu schmälern, ist man sich bei BBC Maestro sicher.
Ein Beispiel für den ethischen Umgang mit KI
Das neue BBC-Lehrangebot positioniert die Erfolgsschriftstellerin nicht nur als literarische Ikone, sondern auch als Mentorin für aufstrebende Schriftsteller des 21. Jahrhunderts und ermöglicht es dem schreibenden Nachwuchs, direkt von einer der schöpferischsten Romanautorinnen in deren eigenen Worten zu lernen. Wir sind in eine Ära eingetreten, in der einflussreiche Persönlichkeiten beispielsweise als interaktive Pädagogen »weiterleben« können.
Wie Christie »zum Leben erweckt« wurde, wirkt respektvoll, nicht dystopisch. Jede Entscheidung – vom Casting über die Sprachtechnologie bis hin zu den visuellen Nuancen – scheint von Integrität geleitet gewesen zu sein. In einem Zeitalter von Deepfakes und digitalem Klonen entspricht dieses Maß an Rücksichtnahme den wachsenden Erwartungen der Verbraucher: Wenn Technologie die Toten repliziert, sollte sie sinnvoll, ethisch und sorgfältig ausgearbeitet sein.
© BBC Maestro (Screenshot YouTube) lässt Agatha Christie per KI wieder auferstehen, um angehende Schriftsteller von ihren Erfahrungen Nutzen ziehen zu lassen.
Familie nutzt KI, um ermordeten Bruder »wiederzubeleben«
In Arizona hat die Familie von Christopher Pelkey, der im Straßenverkehr von einem aggressiven Autofahrer erschossen wurde, ihren verstorbenen Angehörigen vor Gericht als KI-erzeugte Person auftreten lassen. Wie der lokale Fernsehsender KNXV-TV–ABC15 aus Phoenix (Arizona) berichtete, trat gegen Ende des Prozesses das Abbild des Verstorbenen auf, um seinem inzwischen verurteilten Mörder Gabriel Paul Horcasitas zu verzeihen.
»In einem anderen Leben hätten wir wahrscheinlich Freunde sein können«, sagte die KI-Version des 37-jährigen Opfers. »Ich glaube an Vergebung.«
Stacey Wales, die Schwester des Verstorbenen, erklärte, dass sie, ihr Mann und ein Freund das »digitale KI-Abbild« ihres Bruders mithilfe eines von ihr verfassten Skripts sowie von Bildern und Audiodateien erstellt hätten, die von einem Gespräch stammten, das Monate vor Pelkeys Tod aufgenommen worden sei.
»Diese digitalen Assets und das Skript wurden in mehrere KI-Tools eingespeist, um eine digitale Version von Chris zu erstellen«, sagte Wales, »die durch stundenlange sorgfältige Bearbeitung und manuelle Verfeinerung auf den Punkt gebracht wurde.« In einem Interview beteuerte Pelkeys Schwester, dass alle, die ihren verstorbenen Bruder kannten, »darin übereinstimmten«, dass diese ›virtuelle Zeugenaussage‹ genau dem entspricht, »wie Chris gedacht hätte«. Dann fügte sich noch hinzu, dass die Erstellung des digitalen Klons ihr und ihrer Familie geholfen habe, den Verlust ihres Bruders zu verarbeiten und ihr ein Gefühl des Friedens gegeben habe, auch wenn andere anderer Meinung seien.
Andere Meinungen schufen sich deutlich in den sozialen Medien Gehör. Viele Nutzer hielten diese »KI-Nekromantie« (Totenbeschwörung) für gruselig und falsch. Die Vorstellung, dank KI-Technologie von einem verstorbenen Verwandten zu hören, sei grotesk; sie im Gerichtssaal einzusetzen, sei aber noch schlimmer, empörten sich etliche Kommentatoren. Angeheizt wird die Diskussion noch durch das Vorhaben des US-amerikanischen Hörfunk- und Fernseh-Networks NBC, die Stimme des 2017 verstorbenen Sportkommentators Jim Fagan in der kommenden NBA-Saison für neue Werbespots zu verwenden.
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