Zukunftsoffenheit: Zwischen Utopie und Realität

Zukunftsoffenheit: Zwischen Utopie und Realität

Die Zukunft liegt nicht im Dunkeln, aber sie dämmert ungewiss hinter manchen Nebelwänden. Und heutzutage – im Spannungsfeld zwischen Irrationalismus, Wahn und Singularität, zwischen Gewalt und Galaxien eingezwängt, ist sie ungewisser, denn je. Einst war sie ein Versprechen, heute – für viele Menschen – eine Drohung.

Es sind dies Zeilen aus einer Epoche des Aufbruchs und der Zuversicht (1964), aus der Mitte des 20. Jahrhunderts:

» … ein Tiefbohrer [grub] ein tiefes Loch und die Leute betrachteten voller Neugier einen seltsamen, torpedoförmigen Gegenstand, der an einem Kran hing, um in das Loch hinabgelassen zu werden. Ich fragte Bradbury, was das sei, und Bradbury erklärte, es sei eine Zeit-Kapsel, so konstruiert, dass sie bis zum Jahr 6965 halten würde. Ich fragte, was eine Zeit-Kapsel sei, und er erklärte, es sei etwas für die Nachwelt: etwas das wir der Nachwelt übermittelten, damit sie wisse, dass wir gelebt und wie wir gelebt hätten. Ich fragte ihn, aus was sie bestehe, was sie enthalte, und er erklärte, sie bestehe aus Kupfer, Chrom und Silber, zu einem Metall zusammengeschmolzen, das stärker sei als Stahl und jeder Erosion, jedem Brand, jeder Atomexplosion standzuhalten vermöge. Sie enthalte, durch Elektronensysteme geschützt, Zeugnisse unserer Zivilisation, so wie diese an der Schwelle des Jahres 1965 nach Christus, sozusagen am Vorabend des Mondfluges, in Erscheinung trete, in einer Gesellschaft, in der Schmerz und Tod Leben heißen. Ich fragte ihn, was das für Zeugnisse seien, und er antwortete, ein wenig von allem: 35 allgemeine Gebrauchsartikel, ein Damenhut und ein Wecker, eine Sicherheitsnadel und ein Fotoapparat, eine Puppe und ein Skalpell. Und dann 75 Muster von Metallen, Geweben, Plastik, Kunststoffen. Weiter 12 Arten von Samen, von Getreide bis zu Rosen, von Zypressenkernen bis zu Kaffeebohnen. Weiter 1000 Mikrofotografien von Automobilen, Flugzeugen, Raketen, Städten, Fahrrädern, Mädchen im Badekostüm, Müttern mit Kindern im Arm, Astronauten im Raumfluganzug, Märtyrern vor dem Exekutionskommando. Weiter die Encyclopaedia Britannica auf Mikrofilm. Weiter die Bibel, die Bücher des Konfuzius und Mohammeds, dann Texte über Medizin, Arzneikunde, Mathematik, Physik, Astronautik, Biologie, alles auf Mikrofilm. Weiter Shakespeare und Homer und Dante und Sappho auf Mikrofilm. Weiter unverbrennbare Fotografien der Meisterwerke von Giotto, Leonardo, Raffael, Michelangelo. Und dann Münzen, Zigaretten, Kaugummi. Und dann die Geschichte der letzten fünfzig Jahre unseres Planeten, bis zum Apolloprojekt. Und schließlich das Buch der Erinnerung, ein grandioses Schlüsselwerk, mit dessen Hilfe diese geschriebenen Dinge in den künftigen Sprachen gelesen, übersetzt und gerettet werden konnten. Da fragte ich verwirrt, wer denn dieses Dechiffriersystem erfunden habe, wer sich das ausgedacht und diese erhabene Arbeit geleistet habe, und er antwortete, das Dechiffriersystem habe ein gewisser John P. Harrington erfunden, die Idee stamme von einer Gruppe von Ingenieuren der Westinghouse Electric and Manufacturing Company und die erhabene Arbeit habe die Smithsonian Institution von Washington geleistet. (…) Und ich sah einen Herrn in dunkelblauem Anzug, der mit anderen Herren in dunkelblauen Anzügen bei der Grube stand, ich hörte ein nachdenkliches Schweigen, kaum gestört vom Grollen der Untergrundbahn. Die Autos fuhren leise und ziemlich entfernt vorüber, denn Polizisten leiteten den Verkehr um und legten dabei einen Finger an die Lippen. Dann bewegte sich der Kran, neigte sich, als machte er eine Verbeugung, und geleitete die Zeit-Kapsel in die Grube. Langsam, feierlich sank die Kapsel hinein, und als sie unten war, trat der Herr im dunkelblauen Anzug vor und sprach diese Worte: Mögest du, Kapsel der Zeit, in Frieden schlafen. Mögest du in fünftausend Jahren wieder erwachen. Möge dein Inhalt gefunden werden und eine gute Gabe für unsere fernen Nachfahren darstellen. Er sprach diese Worte, und gleich darauf stürzte der Zementguss auf die Kapsel nieder, schwer wie die Zeit, in der wir leben, verzehrend wie die Zukunft, in die wir eintreten.« (Oriana Fallaci, Wenn die Sonne stirbt: Eine Frau begegnet d. Pionieren d. Astronautik. Econ Verlag, 1966).

Der homo sapiens sapiens des 21. Jahrhunderts lebt in einer Zeit der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Die einen denken, wenn überhaupt, allenfalls bis zum nächsten Tag, und andere bis an den Rand des mess- und sichtbaren Universums und ans »Ende aller Tage«. Der raumzeitliche Weitblick, oder aber auch sein Gegenteil, die atemlose Kurzsichtigkeit, sind Qualitätsmerkmale einer jeden Gesellschaft und geben Hinweise auf das vorhandene Maß an Entropie und Verantwortungsbewusstsein beziehungsweise Verantwortungslosigkeit. Die beschämende, sich von Wahl zu Wahl und von Quartal zu Quartal hangelnde Kurzatmigkeit gegenwärtiger Entscheidungsträger offenbart nur das fraktale Abbild einer beschämenden Gesellschaft. Einer raubgierigen und plündernden Gemeinschaft, die blind ist für die längerfristigen Ergebnisse ihrer Handlungen und ihrer Untaten. Noch herrscht eine herrschende Klasse hysterischer Jäger und Sammler zufälliger Tagesmehrheiten und -renditen, die zum eigenen kurzfristigen Vorteil stets die Zukunft beleihen, ohne aber hierfür die persönliche Verantwortung zu übernehmen, die wie Kleinkinder nur das Hier und Heute kennt, die freudig gluckst, wenn eine wankelmütige Presse sie lobt, und die – aller Lippenbekenntnisse zum Trotz – kein bisschen an den (langfristigen) Folgen ihrer Taten oder feigen Unterlassungen interessiert ist.

Der Kurzzeitaktionismus triumphiert. Die Zeit wird immer kürzer getaktet. Mobiltelefon, E-Mail, Internet und KI lassen Zeit-Räume zusammenschrumpfen zum jetzt und gleich und überall. Nachdenken und schöpferische Gelassenheit kommen buchstäblich unter die Räder dieser Raserei. Es geht offensichtlich nur noch darum, alles schneller und noch schneller zu erledigen, bis wir selbst erledigt sind. Dabei bleibt natürlich die inhaltliche Frage, was es überhaupt zu erledigen gibt, und wie sinnvoll dies ist, auf der Strecke. Mit dem Brett vorm Kopf lässt sich eben nicht weit blicken. Durch Kurzfristigkeit geht Zukunft verloren, und das heißt nichts anderes als die Fähigkeit, seinen freien Willen zu nutzen (Karlheinz A. Geißler, Zeitforscher und Wirtschaftspädagoge).

Die meisten Menschen kennen – zumindest ansatzweise – die Vergangenheit, jedenfalls ihre eigene. Sie leben in der Gegenwart, und kommen darin mehr oder weniger gut zurecht. Doch was sie – seit allen Zeiten – wirklich interessiert – und sowohl fasziniert als auch ängstigt, das ist die nähere und fernere Zukunft.

Doch die Zukunft ist volatil, einfach da, und meistens unberechenbar. Einerseits ist sie von langweiliger Routine geprägt. Denn die nächste und nahe Zukunft ist nicht viel anders als das Heute. Und größtenteils auch das Gestern. Wenn man sich etwa innerhalb des Zeitraums einer Dekade zurückerinnert. Und dennoch kann die Welt morgen früh schon ganz anders aussehen als die Welt heute Abend. Aus dieser Ungewissheit rühren Reiz und Neugier, das Morgen und Übermorgen vorhersehen zu wollen. Sie sind seit den Zeiten des Orakels von Delphi oder der etruskischen und römischen Haruspices stets übermächtig gewesen. Zu allen Zeiten hielten sich Herrscher Astrologen und Hellseher, um entweder ihre Rivalen zu übervorteilen oder, um bessere Entscheidungen zu treffen.

Prinzipiell weiß der Mensch nichts über die Zukunft. Wie schnell sich die Dinge ändern können, zeigten in letzter Zeit beispielsweise der unvorhergesehene Sturz Assads in Syrien Anfang Dezember 2024. Niemand hatte offensichtlich erwartet, dass sein Regime so schnell stürzen könne. Auch den Sieg der afghanischen Taliban am 15. August 2021, dem der überstürzte Abzug der NATO folgte, hatte angeblich niemand auf der Rechnung. Selbst die Geheimdienste nicht, wenn man ihren Äußerungen vertraut. Dasselbe hieß es hinsichtlich der russischen Invasion der Ukraine am Morgen des 24. Februar 2022. So gibt es stets Überraschungen in der Zukunft, die man überhaupt nicht prognostizieren kann oder prognostiziert hat. Nicht umsonst wurde Nassim Taleb die Metapher der schwarzen Schwäne für gänzlich unerwartete Ereignisse eingeführt.

Auch wenn jeder Mensch gerne über die Zukunft verfügen würde und sich vorstellt, wie die Dinge in einem, in fünf oder in zehn Jahren sein werden, sind sie doch hoch kontingent. Das heißt, all diese Dinge sind möglich, aber sie sind nicht notwendig. Der große Philosoph des kritischen Rationalismus, Karl R. Popper, stellte ernüchtert fest, dass wir nur die nächste und die fernste Zukunft einigermaßen sicher vorhersagen können: die allernächste Zukunft werde wahrscheinlich so ähnlich sein wie die Gegenwart, und die fernste Zukunft ist das Ende von allem. Was dazwischen liegt, ist das, was uns eigentlich interessiert, und das lässt sich nun gerade kaum vorhersagen.

Um sich dennoch dem Kommenden anzunähern, wurden in der Trend- und Zukunftsforschung die unterschiedlichsten Methoden und Werkzeuge zur Analyse, Interpretation und Prognose von gesellschaftlichen, technologischen, wirtschaftlichen und ökologischen Entwicklungen ersonnen. Viele davon sind jedoch ideologisch kontaminiert. Wenn der politisch-ideologische Wunsch, bei gleichzeitiger Missachtung der erfahrenen und wahrnehmbaren Wirklichkeit, der Vater des Gedankens ist, wird das zwangsläufig zu falschen Ergebnissen führen. Beste, negative Beispiele hierfür sind die Vorhersagen zum Klimawandel.

Die Frankfurter Rundschau (FR) berichtete am 10.03.2024: ›Der Biologe und Autor Doktor Mark Benecke hat vor extremen Temperaturen im Sommer 2024 gewarnt. »Ich kann Ihnen aus den Erfahrungen der letzten Jahre mit fast völliger Sicherheit […] sagen, dass wir den Höllensommer des Jahrhunderts und Jahrtausends kriegen werden«, sagte der 53-Jährige während eines Vortrags in Bonn am Mittwoch‹ (06.03.2024). »Die Erde fackelt ab«, warnte er vor dem Klimawandel.

Das Klima ist, nach Definition der World Meteorological Organization (WMO) der in der Regel über einen Zeitraum von 30 Jahren gemessene Durchschnittszustand des Wetters (als physikalischer Zustand der Atmosphäre) an einem bestimmten Ort – etwa in Bezug auf Temperatur, Niederschlag, Wind, Luftdruck und Bewölkung. Das Wettergeschehen ist chaotisch nicht-linear. Das bedeutet, dass kleine Unterschiede in den Anfangsbedingungen zu völlig unterschiedlichen Wetterverläufen führen können. Zwar sind Wettervorhersagen in der Kurzfristprognose (z.B. für die nächsten 24 bis 72 Stunden) in der Regel zuverlässig – moderne Modelle und umfangreiche Daten ermöglichen oft eine Genauigkeit von 80 bis 90 Prozent bei wichtigen Parametern wie Temperatur und Niederschlag. Doch mit zunehmendem Vorhersagezeitraum (mittelfristig oder langfristig) steigt die Unsicherheit aufgrund der chaotisch nicht-linearen Dynamik der Atmosphäre. Das bedeutet, dass Prognosen für Zeiträume von mehreren Tagen bis Wochen weniger präzise werden und vor allem extreme oder kleine Wettereignisse schwer vorherzusagen sind. »Der Hauptantrieb des Klimasystems der Erde ist die eintreffende Sonnenstrahlung« (Deutscher Wetterdienst).

»Keine Generation darf zugunsten zukünftiger Generationen geopfert werden, zugunsten eines Ideals, das vielleicht nie erreicht wird« (Karl Popper)

Statt aus den Eingeweiden von Opfertieren Weissagen zu treffen oder im Kaffeesatz zu lesen, sollte man die Gestaltung der Zukunft selbst in die Hand nehmen, lautet ein vernünftiger Ansatz. »Die beste Methode die Zukunft vorherzusagen«, schlug der US-amerikanische Informatiker Alan Curtis Kay vor, bestehe darin, sie zu erfinden. In die gleiche Kerbe schlug der US-Ökonom Peter F. Drucker. Der einflussreiche Pionier der modernen Managementlehre (z.B. »Management by Objectives«) meinte: »Die beste Art, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie selbst zu kreieren

Doch das gelingt nur selten im Sinne überspannter Ideologen mit Gotteswahn. Denn was nachweislich nicht funktioniert, wie zahlreiche misslungene Gesellschafts- und Politexperimente bis in die Gegenwart hinein oft blutig zeigten, das sind ausgedachte, am zerebralen Reißbrett entworfene komplexe Konstruktionen, Utopien jeder Art: das Utopia des Thomas Morus, die Idee des idealen Sonnenstaats eines Tommaso Campanella, die Utopien des Kommunismus und Sozialismus, Planwirtschaft, das Ökotopia von Ernest Callenbach und die große Transformation eines Robert Habeck sowie der Great Reset des Klaus Schwab. Nichts davon funktionierte, funktioniert oder wird je funktionieren. So wichtig und nötig diese Gedankenexperimente auch sind – als Science-Fiction-Romane, so eindringlich hat auch kein geringerer als Karl Popper darauf verwiesen, dass sie jeweils aus logischen Gründen zum Scheitern verurteilt sind.

Wieder war es Karl Popper, der darauf verwies, dass, wer eine Utopie anstrebt, immer ein Experiment im Großen macht, ein Experiment mit ungewissem Ausgang und – ein Experiment mit Menschen. Er zeigte, weshalb solche Menschenexperimente nie gelingen können:

1. Komplexe Dinge kann man nicht konstruieren.
2. Wir wissen nie im Voraus sämtliche Folgen, die unser Handeln haben kann.
3. Das Wissen von morgen können wir nicht schon heute haben.

Popper weist in (1) auf die Selbstverständlichkeit hin, dass sich sowohl geistig als auch materiell komplexe Dinge nicht jäh und abrupt, sondern erst über lange, sich oft über Jahrhunderte (oder Jahrtausende) erstreckende Zeiträume, evolutionär entwickelten. Ob technisch »einfache Gegenstände« wie ein Kühlschrank, ein Radio, ein Überschallflugzeug, eine Weltraumstation oder aufwändigere, etwa eine Sprache, Staatsverfassungen, eine Wirtschafts- oder Gesellschaftsordnung: Es ist noch keinem gelungen, von solchen Dingen einfach auf dem Reißbrett einen Plan zu entwerfen und dann in einem einzigen Schritt, in einem einzigen gelungenen Wurf, fehlerfrei fertigzustellen. Jede Komplexität ist an mannigfache Vorbedingungen geknüpft und kann immer nur in evolutionären Prozessen von Konstruktion und Fehlerkritik, Versuch und Irrtum, realisiert werden. So ist es denkunmöglich, dass ein Römer, etwa des 2. Jahrhunderts hätte laut Heureka! rufend, beschließen können, die Concorde zu bauen. Dazu hätten ihm alle notwendigen Grundlagen gefehlt. Grundlagen wie die Gesetze der Klassischen Mechanik (Newtonsche Gesetze), Energieerhaltungssatz, Aerodynamik, Hydraulik, Werkstofftechnik, Antrieb (Motor, Triebwerk, Treibstoff), Navigation, Anzeigeinstrumente, Avionik usw. Das Gleiche gilt auch für politische Großkonstruktionen (Sozialismus, Energiewende, Great Reset). Daher sollte es ein Grundsatz sein, forderte Popper, Pläne immer dann, wenn sehr viele Menschen davon betroffen sind, wenn »Menschenleben oder das Glück der Menschen gefährdet werden«, möglichst nur in kleinen, notfalls umkehrbaren Schritten vorzunehmen und nie Experimente im Großen zu wagen.

Kraftwerke stillzulegen und unwiderruflich zu zerstören, ohne angemessen funktionierenden Ersatz zu haben, ist gemeingefährliches Glücksrittertum, aber keine verantwortungsbewusste Politik. Dasselbe gilt, für eine bestenfalls theoretisch vorhandene Wasserstofftechnologie die Infrastruktur einer bewährten Technologie, z.B. das sich über mehr als 600.000 Kilometer erstreckende deutsche Erdgasnetz aus dem Boden zu reißen. Ebenso illusorisch und von Beginn an zum Scheitern verurteilt sind die Pläne ideologisierter Sozialingenieure, homogene Gesellschaften in Multiminderheitengesellschaften zerspalten zu wollen. Sie nennen es dann Diversität, »bunt statt braun« usw. Der SDS- und APO-Aktivist sowie spätere Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit ahnte indessen schon 1991: »Die multikulturelle Gesellschaft ist hart, schnell, grausam und wenig solidarisch, sie ist von beträchtlichen sozialen Ungleichgewichten geprägt und kennt Wanderungsgewinner ebenso wie Modernisierungsverlierer; sie hat die Tendenz, in eine Vielfalt von Gruppen und Gemeinschaften auseinanderzustreben und ihren Zusammenhalt sowie die Verbindlichkeit ihrer Werte einzubüßen« (DIE ZEIT Nr. 48/1991, 22.11.1991).

Weder trivial und auch mehr als Binsenweisheiten sind die Punkte (2) und (3). Die Lebenspraxis zeigt, dass bestenfalls vom Dunning-Kruger-Effekt befallene Menschen glauben können, vollständig zu wissen, was sie tun. Darüber hinaus muss derjenige, der die Zukunft plant, Prognosen wagen, aber er kann unmöglich zukünftiges Wissen vorhersagen, und so muss er in seinem Plan das heutige, unvollständige und vorübergehende Wissen festschreiben.

Utopien müssen, soweit sie sich über diese drei Sätze hinwegzusetzen versuchen – und das ist leider meistens der Fall – als waghalsige Großexperimente mit Menschenleben angesehen werden, deren Ausgang niemand vorhersagen kann.

Verschärft wird dieses hohe politische Risiko durch den Umstand, dass man nicht gleich, sondern erst sehr spät sehen wird, ob man das Richtige getan hat, nämlich erst in ferner Zukunft, eventuell erst nach einigen Generationen.

Aus dieser Utopie- bzw. Ideologiekritik folgerte Popper: »Das Elend ist konkret, die Utopie abstrakt.« Und: »Keine Generation darf zugunsten zukünftiger Generationen geopfert werden, zugunsten eines Ideals, das vielleicht nie erreicht wird. (…)« Jede Generation habe den gleichen Anspruch auf ein erträgliches Leben, und da wir immer irren können, könne es leicht sein, dass die Utopisten einer Generation Lasten aufzwängen oder sogar Menschen opferten, ohne dass es der nachfolgenden Generation dann tatsächlich besser ginge.

Trend- und Zukunftsforschung sind interdisziplinär und kombinieren Erkenntnisse aus der Geschichte, der Soziologie und Politikwissenschaft, aus Ökonomie, Technologie, Ökologie, Psychologie und Massenkommunikation. Auf dieser Grundlage erstellt der als Verein organisierte Thinktank ÆON-Z e.V. zusammen mit dem Onlinemedium »Infodienst Futurmedia« realitätsbezogene Zukunfts-Einschätzungen sowie insbesondere mögliche bzw. notwendige Zukunftsszenarien (z.B. optimistisch, pessimistisch, Status quo).

Abschließend gilt: Trend- und Zukunftsforschung sind keine exakten Wissenschaften, sondern Disziplinen, die Unsicherheiten und Komplexitäten in möglichen Entwicklungen analysieren und Zukunftsszenarien entwerfen. Sie bieten keine absoluten Sicherheiten, sondern Grundlagen, um Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen. Sie sind am zuverlässigsten, wenn sie als Werkzeuge zur Erkennung von Möglichkeiten, Risiken und Chancen genutzt werden, statt als exakte Vorhersagen der Zukunft. Die größte Stärke sollte in der Fähigkeit liegen, Menschen und Organisationen auf verschiedene Szenarien vorzubereiten und deren strategische Resilienz zu fördern.

Quellennachweis:
Hans-Joachim Niemann (Bamberg), Die Utopiekritik bei Karl Popper und Hans Albert, aus: Aufklärung und Kritik Nr. 1, S. 57-64, Nürnberg 1994, (Gesellschaft für kritische Philosophie)
Karl R. Popper, Das Elend des Historizismus, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen; 5., verbesserte Auflage, 1979

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