
So wie jeder Krieg, begann auch dieser mit einer handfesten Lüge: die Sicherheit Deutschlands, behauptete der damalige SPD-Verteidigungsminister Peter Struck, werde am Hindukusch verteidigt. Der Abschlussbericht »Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands«, der am Montag, 27.01.2025, von der Enquete-Kommission Afghanistan vorgelegt wurde, räumte schonungslos mit diesem und anderen Mythen auf. Nach 20 Jahren Einsatz (2001-2021) mit 59 getöteten Bundeswehrsoldaten, mindestens zwölf Milliarden in afghanischer Erde versenkten Euros, einem Abzug im Chaos und einer seitdem losgetretenen Einwanderungsflut häufig zwielichtiger Figuren, ist das Ergebnis ein heilloses Fiasko. Mit Blick auf die anderen Auslandseinsätze der Bundeswehr sowie des Ukrainekrieges sollte dieser Bericht allen deutschen Politikern eine Lehre für künftiges Handeln sein.
Das »Bonn International Centre for Conflict Studies« bilanziert unter der Schlagzeile »Strategisch gescheitert« den mehr als 100 Seiten umfassenden Bericht. Nachfolgend werden aus dem Original die zentralen Punkte zusammenfassend zitiert:
»Das Fazit der Kommission (…) fiel äußerst kritisch aus und deckte sich mit der öffentlichen Wahrnehmung vom Einsatz als gescheitert. Das deutsche Engagement wurde als eine fatale Mischung aus durchgehender Strategielosigkeit und überambitionierten Zielen charakterisiert. Abgerundet wird das Bild durch die Bescheinigung einer ignoranten Absenz von selbst basalstem Sachverstand der gesellschaftlichen, politischen und historischen Kontexte Afghanistans. Keines der Einsatzziele wurde erreicht: Weder wurde das Land befriedet, noch eine unabhängige Justiz oder Verwaltung aufgebaut, geschweige denn eine belastbare Wirtschaft etabliert, die beispielsweise in der jetzigen humanitären Krise die Afghan:innen vor dem Verhungern bewahren würde. Das Gros der internationalen Hilfsgelder wurde nicht in die wirtschaftliche Entwicklung, sondern den Ausbau des Sicherheitsapparates gesteckt – eine Praxis, mit der imperiale Akteure im 19. und 20. Jahrhundert qua politischem Design einen finanziell verabhängigten, doch aus heutiger Sicht durch und durch dysfunktionalen afghanischen Staat geschaffen haben. Genau dieser, über zwei Jahrzehnte hinweg finanziell aufgepumpte Sicherheitsapparat ist im August 2021 innerhalb weniger Stunden implodiert.«
Straßenbild mit Pferdekarren: Eine Kolonne der schnellen Eingreiftruppe QRF (Quick Reaction Force) vom Observation Post North ist mitten im afghanischen Straßenverkehr unterwegs.
© BU/Foto: Bundeswehr/Bienert
»Auf der Ebene der Bundesregierung und den involvierten Ministerien wurden die Ziele des Engagements durch Realitätsverleugnung, das Fehlen einer realitätsnahen Strategie und der Unfähigkeit zum institutionellen Lernen unterminiert. Dieses gesamtinstitutionelle Regierungsversagen hat schließlich eine Reihe unbeabsichtigter und zusammenhängender (Neben-)Effekte gezeitigt, durch die das Scheitern der Mission im Nachhinein besonders deutlich wird, darunter:
- die Ausbreitung und Nichtahndung von Korruption und Klientelismus, u. a. durch die Auswahl von fragwürdigen Partnern vor Ort (Milizenführer, Kriegsverbrecher mit teilweise dschihadistischem Hintergrund etc.);
- die Minderung einer sowieso schon gering ausgeprägten Eigenverantwortung (ownership) der afghanischen Behörden und offiziellen lokalen Partner;
- die sukzessive Entfremdung der afghanischen Bevölkerung vom Ziel des Staatsaufbaus nach rechtsstaatlichen und demokratischen (›westlichen‹) Prinzipien;
- die indirekte Ausweitung von Möglichkeiten für die Taliban, vor allem im ländlichen Raum ihre eigene Rechtsprechung als legitime und unbestechliche Alternative zu den afghanischen Behörden anzubieten;
die Ausbreitung zahlreicher bewaffneter dschihadistischer Gruppen in Afghanistan als Resultat der praktizierten Doppelstandards und des Glaubwürdigkeitsverlustes der internationalen Intervention, hier insbesondere der US-geführten Terrorbekämpfungseinsätze von Operation Enduring Freedom und CIA, denen viele unschuldige Zivilisten zum Opfer fielen. Schätzungen zufolge wurden in dem 20jährigen Gewaltkonflikt seit 2001 mindestens 47.000 Zivilisten in Afghanistan getötet. Der spezifische deutsche Anteil an den oben genannten Entwicklungen kann nicht quantifiziert werden, ist aber relevant und unbestritten.«
Die vollständige Stellungnahme des »Bonn International Centre for Conflict Studies« (bicc) kann hier weitergelesen werden.
Mehrere Kinder schließen sich einer Gruppe deutscher Luftwaffensicherungssoldatinnen und -soldaten auf ihrem Weg durch das Dorf Rem Saki während einer Patrouille an.
© BU/Foto: Bundeswehr/Wilke
Infodienst.info-Nachtrag: Während der Gesamtdauer des Afghanistaneinsatzes wurden dort 59 Bundeswehrsoldaten getötet, darunter ein Angehöriger des Kommando Spezialkräfte (KSK). Die Bundeswehr setzte während ihres Einsatzes in Afghanistan von 2001 bis 2021 offiziell etwa 6.000 bis 7.000 afghanische Ortskräfte ein. Im April 2021 waren rund 300 Ortskräfte für die Bundeswehr in Afghanistan beschäftigt. Bei den Ortskräften handelte es sich um afghanische Staatsbürger, die die Bundeswehr in Afghanistan in unterstützenden Funktionen begleiteten, z.B. als Dolmetscher, kulturelle Vermittler oder in anderen logistischen und administrativen Bereichen.
Der Mediendienst Integration beziffert die in Deutschland lebenden Afghanen mit Einwanderungsgeschichte auf etwa 476.000 (Stand: 31.12.2023). Etwa 375.000 Personen seien selbst eingereist. Die Dunkelziffer dürfte weit höher sein …
Im Oktober 2022 legten Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) das »Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan« (BAP) auf. Monatlich sollten tausend Afghanen, die wegen der Machtübernahme der Taliban als gefährdet galten, nach Deutschland geholt werden. Doch das Programm stand von Anfang an in der Kritik, auch wegen zahlreicher Hinweise auf Missbrauch durch beauftragte NGOs. Am 02.09.2024 warnte ein interner Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) vor einer »deutlich erhöhten« Missbrauchsgefahr durch Islamisten und islamistische Terroristen.
Das vermeidbare Abschlachten eines zweijährigen Jungen sowie eines 41-jährigen Passanten mit einem Küchenmesser durch den 28-jährigen Afghanen Enamullah Omarzai am 22.01.2025 in Aschaffenburg ist nur ein Glied in einer sehr langen Kette, die wöchentlich länger wird … Quellen: Gewalttat im Park Schöntal, 1. Nachtragsmeldung, 2. Nachtragsmeldung, Polizeipräsidium Unterfranken.
Ergo: Das Afghanistan-Desaster setzt sich an der »Heimatfront« fort – mit ungewissem Ausgang.
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