Geopolitik: Europa – die geistige Vergreisung eines Kontinents

Wenn das Geschehen auf der 61. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) 2025 eines klarstellte, dann dies: Europa, insbesondere die Staaten der EU, haben dramatisch an geopolitischen Einfluss verloren. Immer noch überkommenen Militärdoktrinen und »Werten« eines moralisch aufgeladenen »regelbasierten Systems« anhängend, das global längst ausgedient hat, wird Europa ohne neue Vision von sich selbst in der Bedeutungslosigkeit versinken. Davon überzeugt ist der Schweizer Politikberater Remo Reginold in einem Interview mit der Onlineausgabe des Boulevardmediums 20 Minuten. Während sich die Staaten Asiens, Afrikas und Südamerikas strategisch klüger positionierten und an Einfluss gewönnen, marginalisiere sich Europa mittelfristig weiter. Europa hänge weiterhin einer Werte- und Wirtschaftsordnung an, die so längst nicht mehr existiere. In einer mehrdeutigen, multipolaren Welt, die keine gesicherten Allianzen mehr kenne, in der man je nach Kontext einmal Partner und das nächste Mal Wettbewerber (oder Gegner) sei, fehle es Europa an einer pragmatischen Sicht auf die Dinge. »Wir leben in einer mehrdeutigen Welt«, erklärt Reginold, »in der man sich nicht nur militärisch und wirtschaftlich, sondern auch kulturell und über Rohstoffe sowie Handelswege geopolitisch behaupten kann.« Besonders Indien habe das »Frenemy«-Prinzip perfektioniert: Je nach eigenem Vorteil wird das Gegenüber mal als Freund (friend) und mal als Feind (enemy) wahrgenommen und entsprechend behandelt.

Plädoyer für eine pragmatische Interessenpolitik

Statt klassischer Organisationen wie z.B. die UN, würden sich künftig an deren Stelle neue Bündnisse durchsetzen – etwa die BRICS-Staaten. Während die alten Institutionen Auslaufmodelle seien, fände das Modell eines losen Bündnisses bereits Nachahmer.

Der globale Süden habe diese Realität längst erkannt. Europa hingegen verschließe immer noch die Augen davor. Das habe zur Folge, dass Europa in vielen strategischen Regionen keine entscheidende Rolle mehr spielt – ob im Südchinesischen Meer, in der Arktis oder im Nahen Osten. Europa, insbesondere die Kolonialmacht Frankreich, haben in Afrika eine Lücke hinterlassen, die sofort von Russland und China geschlossen wurde. Reginold: »Europa verweist immer wieder auf scheinbare Werte, aber Geopolitik war noch nie moralisch

Der Politikberater ist sich sicher, dass es Europa an einer klaren Vision fehlt. Zwar wird stets vollmundig eine Zeitenwende angekündigt, die aber nur eine hohle Phrase bleibt. Entscheidungen bezüglich zukünftiger Prioritäten und Investitionen bleiben aus. Das gilt besonders in der Sicherheitspolitik. Denn Sicherheit ist nicht nur eine Frage von Waffen, sondern auch von Energiesicherheit, Cybersicherheit und kritischer Infrastruktur.

Deutlich zeigt sich der europäische Dornröschenschlaf in den gewaltigen, viele Milliarden teuren Beschaffungsprogrammen für neue Panzer. So, als habe es die Entwicklungen in der Ukraine nie gegeben, vergibt Europa Bestellaufträge über zig Milliarden Euro. Doch die Realität ist zwischenzeitlich längst eine andere. »Der Einsatz hunderttausender Drohnen über der Ukraine hat die Art der Kriegführung bereits unwiderruflich verändert«, heißt es in einem Beitrag des Onlinemagazins Telepolis. Neben den immens hohen Kosten, die sie verursache, stelle die Panzerwaffe eine Waffengattung dar, »die auf dem modernen Schlachtfeld keine Relevanz mehr hat.« Eine traditionelle Manöverkriegsführung, in der Gruppen von Panzern selbstständig tief in feindlichem Gebiet operieren, wie es Doktrin seit dem Zweiten Weltkrieg war, hat ausgedient. »Die technologische Entwicklung läuft den Panzerbestellungen bereits jetzt schon davon. In wenigen Jahren werden KI-gesteuerte Drohnenschwärme, besonders aus kleinen FPV-Drohnen, zur militärischen Realität«, resümiert der Telepolis-Artikel. Die Autonomisierung der Drohnenwaffe werde einen weiteren entscheidenden Wendepunkt in der Kriegführung darstellen.

Hier zeigt sich wie zum Beweis unter einem Brennglas: Ohne klare Vision von sich selbst, ohne disruptives Denken, ohne geostrategische Innovationen und mehr Eigenständigkeit droht den europäischen Ländern die Bedeutungslosigkeit. Die Welt dreht sich weiter – nur Europa bleibt stehen und verharrt geistig-moralisch verkommen im Gestern.

Foto: © KNDS, Leopard 2A5.
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