Angst vor Armageddon?

Jeder weiß, wir leben in unsicheren Zeiten. Wann aber war es jemals anders? Das Leben ist immer ein Risiko. Waren es früher nur als »Prepper« bezeichnete Personen, die offiziell zwischen Spinner und Verschwörungsextremisten einsortiert wurden, die auf die Notwendigkeit der Vorsorge hinwiesen, so ist dies inzwischen offizielle Politik. So fordert selbst die Europäische Union (EU) ihre Bürger auf, Vorräte für mindestens 72 Stunden anzulegen. Dies soll für den Fall einer Katastrophe, eines Angriffs oder einer anderen Krise geschehen. Ob es hilft? Was, wenn nach einem gesellschaftlichen Zusammenbruch eine längere Periode totaler Anarchie folgt? Manchen Szenarien zufolge werden die Logistikketten zerreißen, das öffentliche Verkehrssystem zusammenbrechen, die städtischen Bevölkerungen von Hungerkatastrophen heimgesucht und der verbliebene Mob ziellos durchs Land streifen, wo er sich um die letzten Essensreste prügelt. Doch, wie wahrscheinlich ist dies? Wie wahrscheinlich ist die Apokalypse, der Jüngste Tag, das Jüngste Gericht – Doomsday und Judgment Day? Was könnten die harten Gründe für einen gesellschaftlichen Blackout sein?

Zehn Szenarien für das Weltenende

Dinosaurier oder Säbelzahntiger, Mammuts oder Neandertaler: 99,9 Prozent aller Arten, die jemals die Erde bevölkerten, gibt es heute nicht mehr. Daraus schließen viele, dass das Schicksal der relativ jungen Gattung Homo sapiens schon zwangsläufig beschlossene Sache sei. Indessen gehen manche Forscher davon aus, dass die Menschheit entweder aufgrund ihres exponentiellen Wachstums oder wegen ihrer Fähigkeit, im Notfall auf noch zu gründende Weltraumkolonien auszuweichen langfristig weiterleben werde. Andere hingegen sehen die Überlebenschancen in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten durch Naturkatastrophen wie Kometen- oder Meteoriteneinschläge oder menschliche Fehlleistungen in Gestalt von Atom- oder KI-/Roboterkriegen ernsthaft sinken.

Weltuntergangserwartungen sind so alt wie die Menschheit. Früher reichte schon eine Sonnenfinsternis aus oder das Erscheinen eines Kometen am Himmel, um die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen. Heute ist das Ende der Welt (wie wir sie kennen) nicht nur Gegenstand fantastischer Zukunfts- und Science-Fiction-Geschichten, sondern ein Forschungsgebiet des wissenschaftlichen Alltags. Die Szenarien die untersucht, bewertet und hinsichtlich ihres wahrscheinlichen Eintreffens gewichtet werden, reichen von bedrohlichen Naturkatastrophen, die den Weltuntergang herbeiführen könnten, bis zu apokalyptischen Bedrohungen, die aufgrund der menschlichen Hybris und Fehlerhaftigkeit selbst ausgelöst werden.

So versuchten renommierte Wissenschaftler des am 16.04.2024 aufgelösten »Future of Humanity Institute«, Oxford, die möglichen Vernichtungsursachen einzugrenzen und die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens in einer – wie nachfolgend dargestellt – Bottom-Up-Rangfolge aufzulisten, wobei der Countdown mit dem rein rechnerisch unwahrscheinlichsten Ereignis beginnt und mit dem zurzeit wahrscheinlichsten endet:

10. Kollaps (Erlöschen) der Sonne oder Gammablitz
09. Meteoriten-/Kometeneinschlag (Durchmesser > 2 bis 10 Kilometer)
08. Ausbruch eines Supervulkans (z.B. »Phlegräische Felder« [Brennende Felder] bei Neapel, Yellowstone-Park)
07. Außerirdischer (extraterrestrischer) Angriff durch superintelligente Zivilisation (Risiko: SETI)
06. Natürliche Pandemie (vgl. Spanische Grippe 1918 mit zirka 80 Millionen Toten)
05. Riskante physikalische Experimente (z.B. Erzeugung kleiner Schwarzer Löcher beim CERN)
04. Klimakatastrophe (z.B. Methanfreisetzung)
03. Weltuntergangskrieg (ABC-Krieg, Einsatz von KI, Nanotechnologie usw.)
02. Machtübernahme durch superintelligente Maschinen (»Terminator«-Szenario, technologische Singularität)
01. Synthetische Biologie¹ (Nanobots, Nanobiotechnologie; siehe James Bond: »Keine Zeit zu sterben«).

Die größte Katastrophe für die Menschen sind also die Menschen selbst. Doch alle historischen Beispiele, zumindest der letzten 300 Jahre legen nahe, dass auch das größte von Menschen verursachte Chaos nicht zu einem (langfristigen) Totalzusammenbruch der Gesellschaft führen wird. Sei dieses Chaos nun die Folge alltäglicher Betriebsstörungen, etwa in Gestalt von Stromausfällen, eines atomaren Super-GAUs, punktuell aufflammender Unruhen, des molekularen (Hans Magnus Enzensberger) wie auch des heißen Bürgerkriegs, politischer Tyrannei oder eines Weltkriegs. Es gab noch nie einen Fall, bei dem eine moderne, hoch entwickelte Gesellschaft einen wirtschaftlich-politischen Zusammenbruch erlitt, der in eine langanhaltende Phase der Anarchie und des totalen Zerfalls mündete.

Stattdessen kam es regelmäßig vor, dass Banden organisierter bewaffneter Verbrecher sich an die Macht putschten, die Regierung übernahmen, den Ausnahmezustand verhängten und eine neue Ordnung der Tyrannei errichteten. Manchmal war es der Mob, der irgendwelchen Revolutionsführern als Söldner diente, manchmal waren gedemütigte Militärs, die ihre Truppen unter einer neuen Führung sammelten (Beispiel: »Kapp-Lüttwitz-Putsch« vom 13. März 1920) und manchmal waren es ausländischen Truppen, die einmarschierten. In fast allen Fällen erwies sich die neue Ordnung als unfreier als jene Gesellschaft, die vor einer Katastrophe »gerettet« wurde.

Im 20. Jahrhundert waren es Russland 1917 und Deutschland in den 1920er und frühen 1930er Jahren, die beide einen schweren wirtschaftlich-politischen Bankrott erlitten. Es ist bekannt, welche Art von Regime beide Staaten danach erhielten.

Das Grauen der Atombombe oder die Vorstellung biologisch-chemischer Massenvernichtungswaffen in den Händen von Terroristen haben eine neue »Vernichtungsqualität« ins Spiel gebracht. Ein nicht auszuschließender Asteroideneinschlag – in obiger »Top Ten«-Skala das zweitunwahrscheinlichste Ereignis – könnte sogar noch schlimmere Folgen als ein Atomkrieg haben. Doch selbst nach einem solchen »Overkill« werden wir, sofern noch etwas übrigbleibt, nicht die vorhergesagte Anarchie bekommen.

Weshalb? Weil die am besten vorbereiteten Überlebenskünstler in der »Matrix« die Superreichen, die Spitzen unserer gewählten Volksvertretungen sowie die Männer und Frauen der Ministerialbürokratie sind. Sie werden in ihren Hubschraubern und Düsenjets entkommen, um sich in ihren verborgenen unterirdischen Bunkern zurückzuziehen. (Genau so geschah es nämlich nach den Anschlägen vom 11. September 2001). Sie haben längst dafür vorgesorgt, dass sie unter den Lebenden und in der Lage sein werden, sowohl miteinander als auch mit den dann noch verbliebenen einsatzbereiten Truppen zu kommunizieren. Wenn sich der Rauch verzogen hat, werden sie aus ihren Löchern kriechen, um wieder alles zu übernehmen. Die Katastrophe wird ihnen als Vorwand dienen, ihre Macht noch zu vergrößern.

Es könnte so kommen; muss es aber nicht. Der US-amerikanische Medienwissenschaftler und Autor Douglas Rushkoff berichtet in seinem Buch Survival of the Richest von Milliardären, die sich den Kopf darüber zerbrechen, wie sie im Fall eines Systemkollapses ihre Privatarmeen in Schach halten können, um nicht von ihnen gemeuchelt zu werden. Er geht davon aus, dass sie trotz ihrer Luxusbunkersysteme den von ihnen selbst ausgelösten Katastrophen nicht entkommen können.

¹Siehe Bundeswehr: Future Topic – Synthetische Biologie (PDF).
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