Vielfaltsbarometer 2025: Gesellschaftliche Bruchlinien werden sichtbarer

Die Zustimmung zur gesellschaftlichen Vielfalt in Deutschland nimmt spürbar ab. Das zeigt die aktuelle Ausgabe des Vielfaltsbarometers 2025 der Robert Bosch Stiftung. Das Vielfaltsbarometer ist eine repräsentative Befragung zum gesellschaftlichen Zusammenleben in Deutschland, die zuletzt 2019 durchgeführt wurde.

Während 2019 noch 63 Prozent der Befragten zunehmende Vielfalt eher oder sehr stark als Bereicherung erachteten, waren es 2025 noch 45 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil derjenigen, die Vielfalt als Bedrohung wahrnehmen, um 17 Prozent. Der Vielfaltsgesamtindex fällt von 68 Punkten im Jahr 2019 auf aktuell 63 Punkte (Skala 0-100). Zwar liegt dieser Wert weiterhin über dem Mittelwert, der Rückgang ist jedoch ein deutliches Signal für wachsende gesellschaftliche Spannungen.

Gesellschaftliche Veränderungen und globale Krisen hinterlassen Spuren

Das Zusammenspiel unterschiedlicher globaler Krisen – von Pandemie über Energie- und Sicherheitsfragen bis hin zu ökonomischen Unsicherheiten – belaste, so die Autoren der Studie, die Offenheit der Bevölkerung gegenüber Vielfalt. »Viele Menschen fühlen sich aktuell verunsichert oder überfordert. Verlustängste führen dazu, dass Abgrenzung als vermeintlicher Schutz empfunden wird«, erklärt Ottilie Bälz, Bereichsleiterin Globale Fragen bei der Robert Bosch Stiftung.

Menschen mit Behinderung erfahren die meiste gesellschaftliche Akzeptanz, niedrige Werte für ethnische Herkunft und Religion

Das Vielfaltsbarometer der Robert Bosch Stiftung untersucht die Einstellung der Bevölkerung zu sieben Dimensionen gesellschaftlicher Vielfalt: Lebensalter, Behinderung, Geschlecht, sexuelle Orientierung, sozioökonomische Schwäche, ethnische Herkunft und Religion. Die aktuellen Ergebnisse zeigen: In vier dieser Bereiche ist die Akzeptanz seit 2019 rückläufig, zum Teil sogar deutlich gesunken.

Besonders stabil bleibt die Zustimmung beim Aspekt Behinderung, der weiterhin die höchsten Werte erzielt (82 Punkte). Es zeigt sich, dass Menschen mit Behinderung im Vergleich zu anderen Vielfaltsgruppen häufig mehr Empathie erfahren. Auch die Einstellung gegenüber dem Lebensalter bleibt weitgehend konstant (71 Punkte). Beim Thema Geschlecht ist sogar ein positiver Trend zu verzeichnen – hier steigt die Akzeptanz um fünf Punkte auf 74 Skalenpunkte. Im Gegensatz dazu verliert die Dimension sexuelle Orientierung rund acht Punkte (auf 69 Punkte) und verzeichnet damit einen spürbaren Rückgang.

Noch kritischer wird die ethnische Herkunft bewertet: Im Bundesschnitt sinkt die Zustimmung um bis zu 17 Punkte – der stärkste Rückgang aller untersuchten Dimensionen. Auch die Akzeptanz gegenüber Religion ist stark rückläufig. Mit einem Bundesdurchschnitt von lediglich 34 Punkten zeigt sich eine weit verbreitete Ablehnung, die insbesondere Muslime betrifft. Religiöse Christen und Juden erfahren hingegen deutlich weniger Zurückweisung. Im Vergleich zu allen anderen Dimensionen fallen die Akzeptanzwerte so niedrig wie nirgendwo anders aus.

Das Merkmal sozioökonomische Schwäche schneidet ebenfalls schlecht ab und bestätigt den Trend: Die gesellschaftliche Offenheit gegenüber benachteiligten Gruppen nimmt ab – ein besorgniserregendes Signal für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Das Ost-West-Gefälle löst sich auf

Bürger in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zeigen im Bundesvergleich die höchsten Akzeptanzwerte, gefolgt von dem Saarland und Hamburg. Das Mittelfeld umfasst Niedersachsen, Bremen, Berlin, Bayern, Rheinland-Pfalz, Hessen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Baden-Württemberg. Thüringen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern bilden die Schlusslichter.

Auffällig ist: Das frühere West-Ost-Gefälle findet sich so nicht mehr, auch im Westen sinkt die Akzeptanz zunehmend. Insbesondere in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg haben sich die Werte im Vergleich zu 2019 verschlechtert. »Die Gräben zwischen Befürwortern und Gegnern von Vielfalt haben sich seit 2019 vertieft. Einige politische und mediale Akteure nutzen Unsicherheiten gezielt, um Spaltung noch zu verstärken«, kommentiert Dr. Ferdinand Mirbach, Senior Experte und Vielfaltsbeauftragter der Robert Bosch Stiftung, die Ergebnisse.

Für die Ausgabe 2025 des Vielfaltsbarometers der Robert Bosch Stiftung wurden im Mai 2025 online 4.761 deutschsprachige Personen ab 16 Jahren befragt, darunter 1.074 mit Migrationshintergrund. Hier gibt es die Studie zum Download (PDF).

Kommentar

Dass der Islam und die Muslime zunehmende Ablehnung erfahren, ist zu bedauern, aber nicht überraschend. Innerhalb der muslimischen Gemeinschaft (Umma) dominieren in der Außenwirkung insbesondere die Extremisten, auch wenn sie nur eine Minderheit von wenigen Prozent darstellen. Wenn Extremisten Angst und Gewalt verbreiten, können sie eine ganze Gesellschaft in Geiselhaft nehmen – auch wenn sie zahlenmäßig klein sind. Solang die muslimische Mehrheit sich nicht klar von den Extremisten distanziert und sie isoliert, die Freiheit hierzulande konsequent verteidigt und die gesellschaftlichen Werte kompromisslos schützt, bestimmen die Extremisten das gesellschaftliche Klima. Dann wird nicht Entspannung die Folge sein, sondern eine weitere Eskalation mit noch mehr Spaltungen bis hin zum Kippen der offenen Gesellschaft.

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