
Deutschland: Kein Strom für KI?
Künstliche Intelligenz (KI) ist als Megatrend eine der ökonomischen Hoffnungen des 21. Jahrhunderts. Viele erwarten den Beginn einer neuen industriellen Revolution. Schon jetzt verändert KI unser soziales Miteinander, die Weltwirtschaft und die Arbeitswelt grundlegend. Und sie birgt großes Potenzial zur Steigerung der Produktivität, besonders im Dienstleistungssektor und in Bereichen wie Gesundheitswesen, Transport und Energie. Dass nationale Souveränität dabei entscheidend vom inländischen KI-Ökosystem abhängt – auf diesen Umstand verwies die aktuelle KI-Infrastruktur Studie der internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte.
Das zentrale Element eines erfolgreichen KI-Ökosystems ist die Verfügbarkeit von Rechenleistung, die durch Rechenzentren bereitgestellt wird, die ohne elektrischen Strom wiederum nicht betrieben werden können. Das ist der Engpass, der Deutschlands Aufholjagd zur weltweiten KI-Spitze gefährlich abbremst.
Investitionsbedarf und Kapazitätslücken
Die aktuelle Deloitte-Studie »KI-Infrastruktur: Wie Deutschland im globalen KI-Rennen aufholen kann« kommt zum Ergebnis, dass Deutschland seine KI-Infrastruktur und seine Rechenzentren massiv ausbauen muss, um die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und nationale Souveränität zu sichern. Dafür müssen bis 2030 bis zu 60 Milliarden Euro investiert werden, um eine Kapazitätslücke von 1,4 GW zu schließen und den wachsenden Bedarf an KI-Anwendungen zu decken.
»Deutschland muss seine Position im Bereich KI und Rechenzentren deutlich stärken. Trotz einer soliden Grundlage fällt Deutschland im internationalen Wettbewerb kontinuierlich zurück«, erklärt Prof. Bernhard Lorentz, Global Climate and Infrastructure Leader bei Deloitte. »Der Anteil Deutschlands an der globalen Rechenzentrumskapazität ist seit 2015 um rund ein Drittel gesunken und Investitionen in KI liegen weit hinter Akteuren wie den USA, Großbritannien, Frankreich und anderen EU-Ländern sowie China.«
Die Studie zeigt darüber hinaus, dass die Kapazität von leistungsfähigen Rechenzentren für KI-Anwendungen in Deutschland bis 2030 verdreifacht werden muss – von derzeit 1,6 GW auf 4,8 GW. Derzeit sind jedoch nur 0,7 GW im Bau und weitere 1,3 GW in der Entwicklung. Daraus entsteht eine Investitionslücke von mindestens 1,2 GW. »Angesichts einer geschätzten Ausfallrate von 20 Prozent bei angekündigten Projekten könnte die tatsächliche Lücke sogar auf 1,4 GW anwachsen«, unterstreicht Dr. Johannes Trüby, Partner für Volkswirtschaftliche Analysen und einer der Studienautoren.
Rechenzentren sind kapitalintensive Projekte mit hohen Bau- und Betriebskosten. Deutschland gehört laut der Studie zu den europäischen Ländern mit den höchsten Baukosten für Rechenzentren – an wichtigen Standorten in Deutschland liegen sie beispielsweise etwa 12 Prozent höher als in Amsterdam und 17 Prozent höher als in Madrid. Zudem sind die Strompreise in Deutschland fast doppelt so hoch wie in den USA, dabei stehen sie für bis zu 60 Prozent der gesamten Betriebskosten eines Rechenzentrums.
Notwendige Maßnahmen
Deloitte beschreibt eine Reihe von Maßnahmen, um die Investitionslücke zu schließen und Deutschland im globalen Wettbewerb zu stärken:
- Private-Public-Partnerships: Mischfinanzierungen aus öffentlichen Fördermitteln und privatem Kapital sowie staatliche Garantien und Bürgschaften können dazu beitragen, die Risiko-Rendite-Profile von Investitionen in KI-Rechenzentren zu optimieren und zusätzliche private Kapitalflüsse zu mobilisieren. Private-Public-Partnerships sind entscheidend für die Finanzierung von Transformationen mit hohem Finanzierungsbedarf (Digitalisierung, Infrastrukturentwicklung, Energiewende, Verteidigung), da sie die Stärken und Ressourcen beider Sektoren kombinieren, um umfassende Investitionen zu ermöglichen und Risiken effizient zu verteilen.
- Die Regierung als Abnehmer: Sie könnte sich Rechenkapazität für die eigene Nutzung sichern – für Verwaltung, Forschung oder Verteidigungszwecke. Dies könnte nationalen und europäischen Unternehmen helfen, in Größe und Kompetenz zu wachsen, indem sie als ›Ankerkunde‹ auftritt und Abnahmen sicherstellt. Der Staat kann auf diese Weise eine Schlüsselrolle bei der Anziehung ausländischer Investoren spielen.
- Steuerliche Anreize: Die Kosten für die Stromversorgung könnten durch eine Senkung von Steuern, Abgaben oder Gebühren (z.B. Stromsteuer, Netzgebühren oder Mehrwertsteuer) gesenkt werden. Dieser Hebel wird von der Europäischen Kommission für energieintensive Industrien unterstützt und bereits auf stromintensive deutsche Industrien wie Aluminium oder Stahl angewendet. Gezielte Steuervergünstigungen könnten die Kosten für Investoren erheblich reduzieren und Deutschland wettbewerbsfähiger machen.
- Beschleunigung von Netzanschlüssen: Transparenz bei der Planung von Netzanschlüssen sowie die Nutzung alter Industriestandorte könnten den Ausbau von Rechenzentren beschleunigen. Zudem bieten alte Industriestandorte oder Großkraftwerke, die in der ›Energiewende‹ keine Zukunft haben, potenzielle Standorte für den schnellen Ausbau von Rechenzentren, da das Stromnetz in diesen Gebieten häufig über große Transportkapazitäten verfügt. Um das Stromnetz zu entlasten, könnten Rechenzentren näher an den Windkraftstandorten im Norden platziert werden und anstelle von Strom würden Daten im ganzen Land übertragen werden. Dies könnte die Entwicklung der Rechenleistung beschleunigen.
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