
Warum die KI-Industrie trotz Milliardeninvestitionen vor einer ungewissen Zukunft steht
Die Künstliche Intelligenz gilt als das nächste große Ding der Technologiebranche – ein Werkzeug, das Wirtschaft, Gesellschaft und unser tägliches Leben tiefgreifend verändern soll. Doch hinter den Rekordinvestitionen in große Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs) verbirgt sich eine alarmierende Schieflage: Während die Ausgaben explodieren, bleiben die Erträge bislang weit hinter den Erwartungen zurück. Branchenexperten warnen: Sollte sich dieser Trend fortsetzen, droht der KI-Industrie ein massiver Einbruch – mit weitreichenden Folgen für Unternehmen, Investoren und Märkte.
Milliarden für eine Vision
Die Dimensionen sind beispiellos. Bis Ende 2025 werden Technologieunternehmen weltweit über 700 Milliarden US-Dollar in LLM-Technologien und deren Infrastruktur investiert haben – eine Summe, die im kommenden Jahr voraussichtlich erneut erreicht wird. Seit der Entstehung des Silicon Valley Mitte des 20. Jahrhunderts hat keine technologische Entwicklung derart gigantische Kapitalströme angezogen.
»In meiner 43-jährigen Karriere im Technologie-Investment habe ich noch nie etwas Vergleichbares gesehen«, schreibt der erfahrene Investor Roger McNamee, der frühzeitig bei Google, Facebook und Amazon einstieg. »Alle glauben, KI sei das nächste große Ding, das alles verändern wird. Aber selbst, wenn die Technologie hält, was sie verspricht, werden viele der heutigen Akteure scheitern.«
Die Euphorie ist nachvollziehbar: KI-Systeme versprechen effizientere Geschäftsprozesse, personalisierte Dienstleistungen und völlig neue Geschäftsmodelle. Politiker sehen Chancen für Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit, Unternehmen hoffen auf neue Umsatzquellen, und Investoren erwarten Renditen wie zur Zeit der Dotcom-Blase. Doch die Realität ist komplexer.
Zwischen Goldrausch und Realität
Die Lücke zwischen Investition und Ertrag klafft weit auseinander. Nach Daten von Marktanalysten betrugen die Umsätze führender Anbieter wie OpenAI, Google und Anthropic mit LLM-Produkten 2023 lediglich eine Milliarde US-Dollar, ein Jahr später waren es etwa vier Milliarden. Für 2025 wird mit Gesamterlösen von 235 bis 244 Milliarden US-Dollar gerechnet – eine beeindruckende Steigerung, die jedoch größtenteils in den Betrieb und die Wartung der notwendigen Infrastruktur fließt.
Prognosen sehen zwar weiteres Wachstum: Bis 2031 könnten die Umsätze auf eine Billion US-Dollar steigen, bis 2033 sogar auf drei Billionen. Doch um diese Zahlen zu erreichen, müsste das aktuelle Investitionstempo nicht nur anhalten, sondern weiter zunehmen. Und das ist längst nicht sicher.
»Die gewaltige Diskrepanz zwischen den Investitionen und den tatsächlichen Einnahmen ist nicht nachhaltig«, warnt McNamee. »Alle setzen darauf, dass sich diese Lücke irgendwann schließt. Aber was, wenn sie es nicht tut?«
Ein Wettlauf um Monopole
Im Zentrum der Entwicklung steht ein intensiver Wettbewerb zwischen den fünf bis sechs größten Tech-Konzernen der Welt: Google, Amazon, Meta, xAI sowie Microsoft und OpenAI. Alle verfolgen dasselbe Ziel – eine globale Monopolstellung im KI-Sektor. Jeder investiert Milliardenbeträge, um seine Systeme zu trainieren, weiterzuentwickeln und am Markt zu etablieren.
Historisch betrachtet ist dieser Drang zur Monopolbildung kein neues Phänomen. Schon der Wirtschaftsvordenker Adam Smith warnte im 18. Jahrhundert vor der Tendenz kapitalistischer Systeme, Märkte zu konzentrieren. Doch im Gegensatz zu den Monopolen vergangener Jahrhunderte, die zumindest greifbare Werte schufen, haben viele der heutigen KI-Projekte bisher wenig vorzuweisen, was ihren immensen Aufwand rechtfertigt.
Der ehemalige General-Electric-Chef Jack Welch brachte es einst auf den Punkt: Nur zwei Unternehmen könnten in einer wettbewerbsintensiven Branche profitabel bestehen. Für die übrigen bedeute das den Kampf ums Überleben. Übertragen auf die KI-Industrie heißt das: Mindestens drei der aktuellen Großakteure werden ihre Investitionen möglicherweise abschreiben müssen – eine Aussicht, die Anlegern und Führungsetagen gleichermaßen Sorgen bereiten dürfte.
Alte Geschäftsmodelle am Limit
Die Abhängigkeit von einem künftigen KI-Monopol hat auch eine zweite, tiefere Ursache: Viele der bisherigen Zugpferde der Tech-Industrie haben ihren Zenit überschritten. Produkte wie Google Search, Microsoft Office oder Facebook verlieren an Relevanz, viele Nutzer empfinden sie als veraltet oder unpraktisch. Für die Konzerne ist die KI nicht nur ein Zukunftsprojekt, sondern eine Notwendigkeit, um ihre Marktposition zu sichern.
Diese Ausgangslage erklärt auch, warum sich Unternehmen in immer riskantere Wetten stürzen. Cloud-Dienste von Amazon, Microsoft und Google verzeichnen Rekordumsätze, weil sie die Basis der neuen KI-Infrastruktur liefern. Chiphersteller wie Nvidia profitieren massiv vom KI-Boom. Doch der größte Teil dieser Einnahmen stammt aus Investitionen der Industrie selbst – nicht von zahlenden Endkunden. Sollte die Nachfrage nicht in gleichem Maße wachsen, könnten diese Erfolge schnell verpuffen.
Ernüchternde Praxis – und ein kritischer Punkt
Hinzu kommt: Viele KI-Anwendungen erfüllen bislang nicht die hochgesteckten Erwartungen. Ob im Bildungswesen, in der Medizin, in der Justiz oder in der Softwareentwicklung – Berichte über Fehlfunktionen, Fehleinschätzungen und ethische Probleme häufen sich. Die Branche verspricht, diese Kinderkrankheiten zu überwinden. Doch ob und wann dies gelingt, ist offen.
Früher oder später, so McNamee, werden Aktionäre, Aufsichtsräte und Führungskräfte Beweise dafür verlangen, dass sich die enormen Investitionen lohnen. »Der Tag wird kommen, und für viele Unternehmen wird die Antwort Nein lauten – mit drastischen Konsequenzen für alle Beteiligten.«
Der Wendepunkt naht
Noch dominiert der Optimismus. Analysten überbieten sich mit Wachstumsprognosen, und die Tech-Giganten investieren weiter mit atemberaubendem Tempo. Doch je größer die Summen, desto größer auch das Risiko. Sollte der erhoffte Umsatzschub ausbleiben, droht der Branche nicht weniger als eine massive Marktbereinigung – möglicherweise der größte Zusammenbruch in der Geschichte der Technologieindustrie.
Für Investoren und Unternehmen bedeutet das: Die Zeit der großen Versprechen könnte bald vorbei sein. Was folgt, ist die Stunde der Wahrheit – und mit ihr die Entscheidung darüber, ob die KI wirklich das »nächste große Ding« wird oder als eine der teuersten Wetten der Wirtschaftsgeschichte in Erinnerung bleibt.
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