Die Technologie des Jobverlusts?

Die Technologie des Jobverlusts?

Es ist ein Stochern im Nebel. Wird die Künstliche Intelligenz Jobs vernichten? Wird KI neue Jobs erschaffen? Welche Jobs werden KI überleben? Die täglichen, sich widersprechenden Meldungen angeblicher Experten und Bosse zum Thema, inwiefern Jobs durch KI ersetzen werden – und vor allem welche, zeigen, dass sie nicht nur nichts wissen, sondern, dass sie auch noch nichts wissen können. Jedenfalls nicht viel. Und selbst das mit großer Unsicherheit.

Weshalb? Während jede bisherige Erfindung in der menschlichen Geschichte den Menschen Macht verliehen hat, ist KI im Vergleich dazu völlig anders. Ob es der Faustkeil war, das Eisenschwert, der Flaschenzug, die Druckerpresse, die Dampfmaschine, der Verbrennungsmotor – oder die Atombombe: dies alles sind (oder waren) Werkzeuge in unseren Händen. Die Menschen entscheiden, was sie damit machen wollen. KI ist anders. KI ist kein Werkzeug, sondern ein Agent. Was ist ein Agent? Ein Agent kann selbst und selbstständig entscheiden. Er kann selbstständig neue Ideen entwickeln, selbstständig lernen und sich dabei verändern. Wenn man einen Agenten erstellt, kann man schon per definitionem nicht vorhersagen, was er tun und wie er sich verhalten wird.

Dennoch ist der US-amerikanische Sozialwissenschaftler und Futurologe Adam Dorr überzeugt davon, dass Roboter und Künstliche Intelligenz innerhalb einer Generation die Weltwirtschaft dominieren und praktisch die gesamte Menschheit arbeitslos machen werden. In einem Gespräch mit dem britischen The Guardian wagte er die Prognose, aufgrund des Ausmaßes, der Geschwindigkeit und der offensichtlichen Unaufhaltsamkeit des technologischen Wandels, werde sich dieser Übernahmeprozess innerhalb der nächsten 20 Jahre abspielen.

Dorr leitet ein Forscherteam der gemeinnützigen Non-Profit-Organisation RethinkX, das die Muster des technologischen Wandels über Jahrtausende hinweg untersucht hat. Sie kamen zum Schluss, dass die aktuelle Welle den Arbeitsmarkt bis 2045 nicht nur erschüttern, sondern sogar zerstören wird. Den kommenden Zukunftsschock, der die meisten Menschen wie ein Blitz aus heiterem Himmel treffen wird, fasst er wie folgt zusammen: »Die Technologie hat ein neues Ziel im Visier – und das sind wir. Unsere Arbeitskraft

Egal, in welcher Branche man tätig sei, innerhalb einer Generation würden Maschinen die gleichen Aufgaben genauso gut, wenn nicht sogar besser erledigen können, und das zu einem Bruchteil der bisherigen Kosten. »Die Kosten steigen stetig, die Leistungsfähigkeit verbessert sich stetig. Dieses Muster kennen wir schon. Wenn ich das Gleiche oder Bessere zum gleichen oder niedrigeren Preis bekomme, ist der Umstieg ein Kinderspiel«, erläutert Dorr.

Der Wandel wird schneller vonstattengehen, als die meisten denken

Seine düstere Vorhersage – humanoide Roboter, angetrieben von immer leistungsfähigerer Künstlicher Intelligenz, würden sich in praktisch allen Branchen durchsetzen und den Menschen chancenlos machen – würzt Dorr mit einer gehörigen Portion Optimismus: Richtig gehandhabt, werde diese Revolution einen »Überfluss« erzeugen, der die Menschheit ›befreien‹ könne. Doch selbst bei richtiger Handhabung würden »neue Extreme der Ungleichheit und Oligarchie drohen«.

Zur Vorgehensweise seines Teams, erläuterte Dorr: »Wir haben über 1.500 technologische Transformationen in der gesamten Menschheitsgeschichte dokumentiert. Durch die theoretische Linse, die wir entwickelt haben, tauchen immer wieder einheitliche Muster auf.« Erlange eine neue Technologie nur wenige Prozentpunkte an Aufmerksamkeit oder Marktanteil, entwickle sie sich innerhalb von 15 bis 20 Jahren meist zu einer überwältigenden Dominanz. Das bedeute: Roboter und Künstliche Intelligenz werden menschliche Arbeitskraft schon bald nahezu überflüssig machen.

In einigen Sektoren werde es eine Übergangsphase geben, in der Menschen effektiv mit Robotern zusammenarbeiten könnten. Doch eher früher als später ständen die Menschen nur noch im Weg herum. Zwar werde es »in einigen Bereichen weiterhin eine Nische für menschliche Arbeit geben«. (…) Berufe, deren Wert auf Empathie und ›menschlichem Einsatz‹ beruhe – wie Sporttrainer, Politiker, Sexarbeiter, Ethiker – dürften (vorläufig) bestehen bleiben. Der Ethik-Spezialist, der künftig KI und Ethik miteinander verbindet, wird der KI-Ethiker sein, der ethische Grenzen setzt und Compliance überwacht. Künftig als ›Chief AI Ethics Officer‹ auf der Führungsebene angesiedelt, wird es u.a. seine Aufgabe sein, zu prüfen und zu verhindern, dass Algorithmen diskriminieren oder manipulieren. Auch Sanitärhandwerker, Elektriker und alle sonstigen Handwerker, die Reparaturdienste anbieten, dürften sich vorläufig nicht über mangelnde Aufträge beklagen. Das Problem sei, »dass es bei weitem nicht genug dieser Berufe gibt, um vier Milliarden Menschen zu beschäftigen

Wie sieht die Praxis aus? Mit zunehmender Verbreitung und wachsenden Anwendungsmöglichkeiten realisieren offenbar immer mehr Arbeitnehmer, dass KI-Anwendungen dazu führen könnten, dass Unternehmen weniger Mitarbeiter benötigen. Im Rahmen des aktuellen ›EY European AI Barometers 2025‹ wurden 4.942 Arbeitnehmer in neun europäischen Ländern und insgesamt 21 Branchen repräsentativ dazu befragt. Das Ergebnis: 36 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland sorgen sich um negative Auswirkungen auf ihren Arbeitsplatz – europaweit sogar 42 Prozent.

Zukunftsforscher Dorr fordert, dass sich die Gesellschaft dringend auf diese Szenarien vorbereiten soll, indem sie Leitlinien entwickelt und Konzepte wie Wert, Preis und Verteilung neu bewertet. »Ich habe keine Antworten. Wir wissen nicht einmal, ob wir die richtigen Fragen stellen. Wir müssen jetzt experimentieren und neue Eigentums- und ›Stakeholder-Strukturen‹ erproben

In der Vergangenheit hätten Futurologen den Menschen immer wieder rosige Zukünfte mit viel Freizeit und wenig Arbeit versprochen – und sie lagen damit spektakulär falsch. Doch dieses Mal werde es wirklich so weit kommen, und der winzige Teil der Gesellschaft, der schon in der Vergangenheit nicht arbeiten musste, wie etwa die Aristokraten, werde aufgefordert sein, die Menschen darin zu lehren, wie man seine Zeit totschlagen oder aber auch sinnvoll ausfüllen kann …

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