
Eine konservative Abrechnung mit einer prägenden Generation
Helen Andrews, leitende Redakteurin bei ›The American Conservative‹, hat mit ihrem Buch »Boomers: The Men and Women Who Promised Freedom and Delivered Disaster« eine bemerkenswerte Analyse der Baby-Boomer-Generation vorgelegt. In einem Interview für den Podcast »Conservative Conversations« erläuterte sie ihre These, dass die Generation, die einst als revolutionäre Kraft der 1960er Jahre antrat, letztendlich sowohl sich selbst als auch nachfolgende Generationen in die Irre geführt hat.
Dekadenz im Quadrat: Von den Boomern zu Generation Z
Andrews‘ Diagnose der heutigen jungen Generation ist eindeutig: »Dekadenz im Quadrat«. Während die Boomer pathologisch an den politischen und kulturellen Dramen ihrer eigenen Jugend festhalten – symbolisiert durch die Verleihung des Literaturnobelpreises an Bob Dylan – scheinen auch die nachfolgenden Generationen in derselben Schleife gefangen zu sein.
Besonders drastisch zeige sich dies in der Tatsache, dass rebellische Jugendliche heute noch immer zu Pink Floyd und Black Sabbath griffen – der Musik ihrer Eltern. Die Proteste und Unruhen der 2020er interpretiert Andrews als bloße Wiederholung der 1960er Jahre, jedoch unter völlig anderen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Der entscheidende Unterschied: Wirtschaftliche Realitäten
Hier liegt ein zentraler Punkt von Andrews‘ Analyse: Die Unruhen der 1960er Jahre konnten Amerika nicht nachhaltig schädigen, weil das Land äußerst wohlhabend war und die »schweigende Mehrheit« politischen Radikalismus ablehnte. Die jugendlichen Aktivisten konnten später in gutbezahlte Jobs und Reihenhäuser wechseln und ihre Phase des Straßenprotests hinter sich lassen.
Die heutige Situation ist fundamental anders: Amerika ist ärmer geworden, und Millennials finden nach ihrem »Antifa-Abschluss« keine gutbezahlten Jobs oder Eigenheime vor, sondern eine Zukunft geprägt von Mietwohnungen und prekären Gig-Economy-Jobs. Diese Generation wird sich nicht in eine glückliche Stabilität einfügen können, wie es ihren Vorgängern möglich war.
Steve Jobs und das Gig-Economy-Desaster
Andrews wählt Steve Jobs als ersten ihrer sechs Boomer-Porträts, um zu zeigen, wie die Technologie das Leben der Millennials dramatisch umgestaltet hat. Die Gig-Economy, die sie als »Katastrophe für Amerika« bezeichnet, hat der Millennial-Generation Stabilität, Vorhersagbarkeit, Langfristigkeit und angemessene Bezahlung genommen.
Gleichzeitig herrscht in normalen Bürojobs ein Klima fehlender institutioneller Loyalität – Millennials erwarten nicht mehr, lange beim selben Arbeitgeber zu bleiben, und fühlen auch keine Verpflichtung dazu. Dies führt zu toxischen Arbeitsbeziehungen und der paradoxen Situation, dass Kritik am Arbeitgeber über Twitter manchmal erfolgreicher ist als der traditionelle Dienstweg.
Die Hochschul-Lüge: Gebrochene Versprechen
Ein zentraler Betrug der Boomer-Generation liegt laut Andrews in der Bildungspolitik. Die US-Boomer versprachen ihren Kindern: »Verschuldet euch für das Studium, dann bekommt ihr gute Jobs und könnt alles zurückzahlen.« Der erste Teil des Versprechens – die Verschuldung – wurde eingehalten, der zweite Teil – die guten Jobs – nicht.
Diese gebrochenen Versprechen erzeugen eine toxische Mischung aus Armut, Frustration und Verrat. Millennials sind nicht einfach nur arm, sondern arm, weil sie betrogen wurden – eine explosive psychologische Konstellation.
Camille Paglia: Die komplexe Boomer-Ikone
Am Beispiel der US-Kulturhistorikerin Camille Paglia zeigt Andrews die Ambivalenz vieler Boomer-Figuren auf. Paglia wird von vielen Konservativen respektiert, weil sie gegen humorlose Feministinnen der zweiten Welle kämpfte und realistische Ansichten über die Gefahren der Sexualität vertrat. Sie erkannte richtig, dass Sex gefährlich ist und nicht ungefährlich gemacht werden kann.
Dennoch führte Paglias »Sex-Positivität« letztendlich zu ähnlicher Naivität wie die ihrer feministischen Gegner. Während diese glaubten, eine sexuelle goldene Ära würde anbrechen, wenn man Männern nur beibringt, nicht zu vergewaltigen, glaubte Paglia, Pornografie und Prostitution seien unproblematisch und Frauen könnten sexuelle Belästigung einfach durch schlagfertige Antworten abwehren.
Das Ende der Arbeiterklassen-Politik
Ein weiterer verheerender Beitrag der Boomer liegt in der Zerstörung der traditionellen Arbeiterbewegung. Die »Neue Linke« der 1960er Jahre – so genannt zur Abgrenzung von der »alten«, arbeiterorientierten Linken – glaubte, wirtschaftliche Probleme seien gelöst und die verbleibenden Herausforderungen seien spiritueller Natur.
Diese Fehleinschätzung führte dazu, dass die über Generationen aufgebauten Institutionen der Arbeiterbewegung systematisch abgebaut wurden. Als 15 Jahre später extreme wirtschaftliche Ungleichheit entstand, waren diese Organisationen nicht mehr da, um die Arbeiterklasse politisch zu vertreten.
Konservatismus als »geordnete Freiheit«
Andrews definiert Konservatismus als »geordnete Freiheit« – ein Konzept, bei dem man je nach Epoche entscheiden muss, ob die Gesellschaft mehr Ordnung oder mehr Freiheit benötigt. Während sie beim Schreiben des Buches glaubte, dass Ordnung das fehlende Element sei, hat die Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns und Mandaten ihre Einschätzung verändert.
Interessant ist ihre Beobachtung, dass gerade die Vertreter der »neuen Rechten« – die eigentlich als gemeinschaftsfixierter und weniger freiheitsorientiert gelten – von Anfang an die vehementesten Gegner der Corona-Maßnahmen waren.
Fazit: Eine Generation und ihre Folgen
Andrews‘ Analyse zeigt eine Generation, die mit den besten Absichten antrat, aber durch ihre Unfähigkeit, die Realität ihrer Zeit zu verstehen, nachhaltige Schäden angerichtet hat. Die Boomer schufen nicht nur ihre eigene Dekadenz, sondern hinterließen nachfolgenden Generationen eine Welt, in der die Versprechen von Wohlstand und Stabilität nicht mehr eingelöst werden können.
Die Tragik liegt darin, dass sowohl die ursprüngliche Jugendrevolution der 1960er Jahre als auch die Reagan-Revolution der 1980er Jahre von derselben Generation getragen wurden – mit denselben individualistischen Idealen, nur aus unterschiedlichen Lebensphasen heraus betrachtet. Diese Kontinuität erklärt, warum jüngere Konservative heute bereit sind, den doktrinären Individualismus ihrer Vorgänger zu überdenken.
Andrews‘ Buch ist somit nicht nur eine Abrechnung mit einer Generation, sondern auch ein Aufruf an nachfolgende Generationen, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und neue Wege für eine geordnete Gesellschaft zu finden.
Aus dem Klappentext ihres Buches: In »Boomers« befasst sich die Essayistin Helen Andrews mit dem Erbe der Boomer mit gewissenhafter Fairness und beißendem Witz. Nach dem Vorbild von Lytton Stracheys »Eminent Victorians« porträtiert sie sechs der klügsten und besten Köpfe der Boomer. Sie zeigt, wie Steve Jobs versuchte, den inneren Rebellen in uns zu befreien, aber unsere lähmende digitale Welt der sozialen Medien und der Gig Economy entfesselte. Wie Aaron Sorkin für eine Generation idealistischer Streber den Rattenfänger von Ratten spielte. Wie Camille Paglia die Wissenschaft korrumpierte, während sie versuchte, sie zu retten. Wie Jeffrey Sachs, Al Sharpton und Sonya Sotomayor die Unterdrückten stärken wollten, aber letztlich neue Unterdrücker ermächtigten.
Weit über die üblichen Beatles- und Bill Clinton-Klischees hinaus zeigt Andrews, wie die Wirkung dieser sechs Boomer auf die Welt tragisch und oft ironischerweise ihren Absichten zuwiderlief. Sie enthüllt die Essenz des Boomer-Daseins: Sie versuchten, uns zu befreien, und hinterließen statt Freiheit ein Chaos.
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